Zeitungsinterview: „Mahler 2023 auf Wiener Pfaden"

Komplettes Interview mit der Orchesterleiterin des Wiener Concert-Vereins für den Artikel in der Tschechischen Zeitung: Mladá fronta Dnes, anlässlich des Debuts des Wiener Concert-Vereins beim Gustav Mahler Festival Jihlava Mai 2023:

Highlight des diesjährigen Festivals ist das österreichische Spitzenorchester Wiener Concert-Verein

Wie ist Ihre Beziehung zur Tschechischen Republik und zur Tschechischen Musik?

Während ich in einem Wiener Kaffeehaus bei Marmeladepalatschinken, überlege, was ich antworten werde, strömt aus der Musikanlage Bedřich Smetanas 1. Streichquartett in e-moll: „z mého života“ … nur so viel zur Beziehung von Tschechien und Österreich im öffentlichen Wiener Alltag Mai 2023.

Persönlich sind es Gefühle, die mich seit frühester Kindheit mit Ihrem Land verbinden: Die Familie meiner Urgroßmutter war - wie bei vielen Menschen in Wien üblich - ursprünglich aus Tschechien.

Leider brachte mir niemand diese geheimnisvoll klingende Sprache bei. Auch kroatisch – meine wienerische Mutter hatte meinen Vater bei einem Urlaub auf einer winzigen kroatischen Insel kennen und lieben gelernt – durfte ich als "echtes Wiener Kind" nicht sprechen. Meine Eltern hatten zu viel Sorge, dass ich dadurch als „Tschuschenkind“ abgestempelt würde.

Ab meinem vierten Lebensjahr war ich oft in jenem Grenzfluss zu Tschechien schwimmen in den die Jihlava fließt. Ich genoss das nahezu lautlose Dahingleiten im tiefgrünen glatten Wasser der Thaya; dieses Gefühl sollte mein weiteres Leben als Musikerin und Eisschwimmerin prägen und begleiten.

Glauben Sie, dass Jihlava - der Ort an dem Gustav Mahler aufwuchs - sein Leben und seine musikalisch eKarriere beeinflußt hat?

Ich kann mir sehr gut vorstellen, wie JIihlava und seine Umgebung auf die kindliche sehr empfindsame Seele Gustav Mahlers gewirkt haben könnten.

Jihlava bietet zur Zeit des heranwachsenden Komponisten wahrscheinlich die „richtige" Mischung aus Anregung und Ruhe, deren ein junger so kreativer Geist unbedingt bedarf. Auch später sucht Mahler für seinen Schaffensprozess ruhige, oft am Wasser gelegene Orte (Attersee, Wörthersee) auf. Die musikalischen Eindrücke aus Jihlava, die Gustav bis zu seinem 15. Jahr aus Volks- und Kirchen- und Kunstmusik begleiten, hallen in vielen seiner Werke wider.

Welche Bedeutung hat Gustav Mahler für Sie persönlich und für Wien?

Lebendigkeit gepaart mit unbedingten Ernsthaftigkeit und Tiefe findet sich in der tschechischen Musik bis heute. So empfindet unser Orchester eine besondere Affinität zu der noch immer weit verbreiteten Gabe der Tschechen und Tschechinnen Musik als essenziellen Bestandteil ihres Lebens wahrzunehmen und zu vermitteln, sei es beim aktiven Zuhören, beim selbst Musizieren oder beim Musikschaffen. Da gibt es eine emotionale Ebene, die intensiv gelebt wird und ohne Scheu ausgedrückt werden darf. Wir erfahren das wie ein „Nach-Hause -Kommen“ in eine intakte, gesunde musikalische Landschaft, die einen Widerhall in unseren Herzen findet und die wir musikalisch weitergeben dürfen!

Mahler bildet emotional, durch seine Biographie und sein Werk eine wichtige Schnittstelle. Seine Direktheit in der Emotion zieht Menschen aller Altersstufen in den Bann und berührt tief und unmittelbar. Auch spüren wir, ohne wissen zu müssen den Sprung, den Mahlers Musik in ihrer kühnen Entwicklung wagt. Sie bringt Welten zueinander und öffnet, ohne die Musiktradition zu verlassen, den Horizont von Jihlava und Wien gewaltig.

Warum haben Sie dieses Programm für Ihr Konzert in Jihlava gewählt?

Der Wiener Concert-Verein schafft - im Musikverein – seiner musikalischen Heimat – wenn möglich ebenso auf seine weltweiten Tournéen dramaturgisch einen klaren Bezug zu Wien. Auch stammen die Orchestermusiker*innen wie in Wien üblich, traditionell aus den verschiedensten Nationen, erlernen ihr musikalisches Handwerk sowie den Stil bei Lehrer*innen, die diesen einzigartigen Klang pflegen und verschmelzen gemeinsam im Orchester zu jenem besonderen Wiener Klang, den weltweit nur ganz wenige Orchester leben.

Im Werdegang aller Komponisten in diesem Programm finden sich deutliche Wien-Bezüge und Überschneidungen zu Tschechien.

Um unsere Beziehungen zu Tschechien in diesem Kontext zu erweitern und zu vertiefen, feiern wir die Österreich-Premiere des 2019 entstanden Werkes „Bruromano“ der tschechischen Komponistin Sylvie Bodorová im Wiener Musikverein. Ihre dramatisch-mitreißende Musik erzählt aus dem reichen Erfahrungsschatz seiner Schöpferin und schenkt uns einen hoffnungsvollen Ausblick auf eine gemeinsame Welt.

Franz Schubert gilt als „Ur-Wiener“, doch auch seine Eltern wanderten aus Nordmähren als Gastarbeiter nach Wien ein. (Einer unserer Geiger stammt übrigens aus Šumperk.)

Welche Musik prägt also den kleinen Franz im elterlichen Haushalt, wo er recht bald schon das familiäre Streichquartett auf der Bratsche komplettiert?

Im Wiener Stadtkonvikt, das Franz dank eines Begabtenstipendiums besucht, spielt er als Geiger nahezu täglich zeitgenössische Orchestermusik von Mozart, Haydn, Beethoven, erlernt jedoch selbstverständlich auch neue Kompositionen von Leopold Antonín Koželuh, Anton Rösler und František Vincenc Kramář, (Franz Krommer) einem bekannten Sohn der Stadt Jihlava.

Aus inner- sowie aussermusikalischen Gründen fühlt sich Mahler zu dem seelenverwandten Komponisten Schubert hingezogen. Mahler weiß, dass Schubert seine Quartette als Weg zur Symphonie sieht und möchte an diesem Prozess selbst teilhaben. Er belässt das Streichquartett in seiner ursprünglichen Form, ergänzt es 1894 meisterlich behutsam die Kontrabassstimme und taucht durch die erweiterte chorische Besetzung des Werkes nun zusätzlich auch selbst als Dirigent ins Geschehen ein. Damit beschenkt er sich nicht nur selbst, sondern verschafft Schuberts 1824 entstandenem D-810, welches sein Schöpfer niemals öffentlich gehört hatte und das erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zum Standard-Kammermusikrepertoire zählen wird, eine zeitgenössische und breitere Wahrnehmung.

Auch heute liegt unsere wesentliche Motivation diese Musik größer besetzt zu präsentieren darin, mehr Menschen auf die Schönheit dieser grandiosen zukunftsweisenden Musik aufmerksam zu machen.

Allen Komponist*innen innerhalb dieses Programms ist ein nahezu prophetischer Weitblick in ihren Werken gemeinsam. Sie nehmen Dank ihres unbeirrbaren Instinkts musikalische Entwicklungen in ihrem Schaffen vorweg. Mit dieser oft kompromisslosen Haltung weht ihnen oft auch rauer Wind seitens ihrer Mitstreiter und Rezipienten entgegen:

Hans Rott, studiert ebenso wie sein Kollege Gustav Mahler am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien (Musikverein). Diesem hochsensiblen, lange Zeit kaum beachteten, sehr visionären, bereits mit 26 Jahren verstorbenen Komponisten möchten wir Gehör verschaffen. Seinem Lehrer Anton Bruckner und vielen Konkurrenten war dessen Genius wohl bewusst. Mahler bezeichnet seinen um zwei Jahre älteren Studienkollegen als Begründer der neuen Symphonie. Die vom Wiener Concert-Verein gespielte 8-stimmige Streichersymphonie in As-Dur schreibt Rott als Sechzehnjähriger!

Wäre Rott’s Musik ein wichtiges Bindeglied zwischen Bruckners und der Gegenwartsmusik geworden? - Man lausche nur den ersten Takten der Streichquartette in c-moll von Anton Bruckner und dem aus der Feder seines Meisterschülers Hans Rott – und plötzlich wird man vieles neu hören und zuordnen …

Welche Botschaft möchten Sie abschießend dem Publikum in Jihlava mitgeben, da dieses Konzertprogramm ja auch im Musikverein - einem der prestigeträchtigsten Konzertsäle der Welt präsentiert wird?

Für den Wiener Concert-Verein ist kein Konzertsaal wichtiger als der andere. Jede/r einzelne Zuhörer*in ist uns gleich wichtig!

Wir freuen uns außerordentlich über die Möglichkeit mit den Menschen in Jihlava und gemeinsam mit Sylvie Bodorová, Miriam Rodriguez Brüllová, Roman Patkoló, Marek Štilec Musik zu machen und erleben zu dürfen!


Details zu den Konzerten

Gustav Mahler Festival

Mittwoch, 24. Mai 2023 | 19:30 Uhr
Jihlava

Hans Rott - Symphonie für Streichorchester As-Dur    
Sylvie Bodorová - Bruromano: Konzert für Gitarre, Kontrabass und Streichorchester (2019)

Schubert/ Mahler - Der Tod und das Mädchen

Marek Stilec - Dirigent
Miriam Rodriguez Brüllová - Gitarre
Roman Patkoló -Kontrabass

ABO IV: „Musik aus Mahlers Heimat“

Donnerstag, 25. Mai 2023 | 19:30 Uhr
Musikverein, Brahms Saal

Hans Rott - Symphonie für Streichorchester As-Dur    
Sylvie Bodorová - Bruromano: Konzert für Gitarre, Kontrabass und Streichorchester (2019)

Schubert/ Mahler - Der Tod und das Mädchen

Marek Stilec - Dirigent
Miriam Rodriguez Brüllová - Gitarre
Roman Patkoló -Kontrabass

Photo ©Mira Weihs